BROWN VON CALAVERAS
Bret Harte
Ein gedämpfter Ton der Unterhaltung und der Umstand, daß keine Cigarren geraucht wurden, und keine Stiefelabsätze aus den Wagenschlägen der Wingdamer Postkutsche herausschauten, machten es offenbar, daß einer der Innen-Passagiere derselben eine Frau war. Eine Neigung auf Seiten der Herumtreiber auf den Stationen, sich vor dem Schlage zu versammeln, und einige Unruhe in Betreff der Erscheinung von Röcken, Hüten und Kragen deuteten ferner an, daß sie schön sei. Alles das notirte sich Mr. Jack Hamlin auf dem Bocksitz mit dem Lächeln cynischer Philosophie. Nicht, daß er das Geschlecht nicht werthgehalten hätte, sondern weil er darin ein trügerisches Element erkannte, dessen Verfolgung die Männerwelt bisweilen von den gleichermaßen unsichern Schmeicheleien des Pokerspiels abzog, mit dem sich, wie bemerkt werden mag, Mr. Hamlin berufsmäßig befaßte.
So that er, als er seinen schmalen Stiefel auf das Rad setzte und herunter sprang, nicht einmal einen Blick auf das Fenster, aus dem ein grüner Schleier flatterte, sondern wandelte mit jener achtlosen und ernsten Gleichgültigkeit seiner Menschenklasse auf und nieder, die vielleicht guter Lebensart am nächsten stand. Mit seiner dicht zugeknöpften Gestalt und seinem auf sich selbst ruhenden Wesen war er ein markirter Contrast gegen die übrigen Passagiere mit ihrer fieberhaften Unruhe und ihrer lärmenden Aufgeregtheit, und selbst Bill Masters, ein Graduirter der Universität Harvard, mit seiner abgeschabten Kleidung, seiner überströmenden Lebenskraft, seiner intensiven Werthschätzung von Gesetzlosigkeit und Barbarei und seinem voll Zwieback und Käse steckenden Munde war, wie ich fürchte, nur eine unromantische Figur neben diesem einsamen Berechner von Chancen mit seinem bleichen griechischen Gesichte und seinem homerischen Ernste.
Der Postillon rief »Alle einsteigen«, und Mr. Hamlin kehrte in die Kutsche zurück. Sein Fuß war auf dem Rade, und sein Gesicht befand sich in gleicher Höhe mit dem offnen Fenster, als in demselben Augenblicke etwas, was ihm als die schönsten Augen der Welt erschien, plötzlich den seinigen begegnete. Er sank ruhig wieder nieder, richtete ein paar Worte an einen der Innen-Passagiere, bewirkte einen Tausch der Sitze und nahm ebenso ruhig seinen Platz drinnen ein. Mr. Hamlin gestattete seiner Philosophie niemals, sich in entschiedenes und rasches Handeln zu mischen.
Ich fürchte, daß dieser Einbruch Jacks den andern Passagieren einige Zurückhaltung auferlegte – besonders denen, die sich der Dame am meisten angenehm zu machen bestrebt waren. Einer von diesen lehnte sich vor und unterrichtete sie offenbar mit einem einzigen Beiwort von Mr. Hamlins Beruf. Ob Mr. Hamlin es hörte, oder ob er in dem Unterrichtenden einen hervorragenden Juristen erkannte, von dem er erst wenige Abende vorher mehrere tausend Dollars gewonnen hatte, kann ich nicht sagen. Sein farbloses Gesicht verrieth kein Zeichen; seine schwarzen Augen, ruhig beobachtend, blickten gleichgültig an dem rechtsgelehrten Herrn vorbei und ruhten auf den viel angenehmeren Gesichtszügen seiner Nachbarin. Ein indianischer Stoicismus – der, wie man sagte, ein Erbtheil seiner mütterlichen Ahnen war – that ihm gute Dienste, bis die rollenden Räder über den Flußkies von Scotts Fähre rasselten und die Postkutsche vor dem International Hotel zum Mittagsessen Halt machte. Der rechtsgelehrte Herr und ein Mitglied des Congresses sprangen heraus und stellten sich bereit, der herabsteigenden Göttin beizustehen, während Oberst Starbottle von Siskiyou sich mit ihrem Sonnenschirm und ihrem Shawl belud. In dieser Vielfältigkeit von Aufmerksamkeiten herrschte für einen Augenblick Verwirrung und Aufenthalt. Jack Hamlin öffnete ruhig die entgegengesetzte Thür der Kutsche, ergriff die Hand der Dame – mit jener Entschlossenheit und Entschiedenheit, welche ein zögerndes und unentschlossnes Geschlecht zu bewundern versteht – und hatte sie im Augenblicke gewandt und anmuthig auf den Boden geschwungen, worauf er ihr wieder auf die Plattform half. Ein hörbares Kichern auf dem Kutschbock kam, fürchte ich, von jenem andern Cyniker, Yuba Bill, dem Postillon. »Sehen Sie recht genau nach dem Gepäck, Oberst,« sagte der Eilbote mit geheuchelter Besorgniß, als er dem Oberst Starbottle nachblickte, der verdrießlich die Nachhut des Triumphzugs nach dem Wartezimmer bildete.
Mr. Hamlin blieb nicht zum Essen da. Sein Pferd war bereits gesattelt und erwartete ihn. Er jagte über die Furt, den kiesigen Berg hinan und hinaus in die staubige Perspective der Straße nach Wingdam, wie jemand, der eine unangenehme Phantasie hinter sich läßt. Die Insassen der staubigen Hütten neben der Straße beschatteten ihre Augen mit der Hand und sahen ihm nach, erkannten den Mann an seinem Pferde und speculirten, was »nur mit dem Comanche-Jack los sein möchte«. Aber viel von diesem Interesse hatte in einer Gemeinde, wo die von »French Petes« Stute auf seiner Flucht vor dem Sheriff von Calaveras zurückgelegte Strecke allen Antheil an dem schließlichen Schicksal dieses Würdigen selbst verdrängte, seinen Mittelpunkt in dem Pferde.
Die schwitzenden Flanken seines Grauschimmels brachten ihn endlich zu sich selbst zurück. Er mäßigte seine Eile und trabte, indem er in eine Seitenstraße einlenkte, die bisweilen als Wegersparniß benutzt wurde, achtlos die Zügel von den Fingern hängen lassend, gemächlich dahin. Als er weiter ritt, änderte sich der Charakter der Landschaft und wurde ursprünglicher. Lichtungen in Hainen von Fichten und Platanen ließen rohe Culturversuche sehen – ein blühender Weinstock rankte sich an dem Vordach einer Hütte hin, und eine Frau schaukelte ihr Wiegenkind unter den Rosen eines andern. Etwas weiter stieß Mr. Hamlin auf einige barfüßige Kinder, die in dem von Weiden eingefaßten Bache wateten, und wirkte mit der ihm eignen Schäkerei so auf sie, daß sie sich ermuthigt fühlten, an den Beinen seines Pferdes empor und auf seinen Sattel zu klettern, bis er genöthigt war, ein übertrieben wildes Benehmen zu entwickeln und zu entschlüpfen, indem er etliche Küsse und Geldstücke zurückließ. Und dann, indem er tiefer in die Wälder vorging, wo alle Zeichen der Bewohntheit aufhörten, begann er zu singen – wobei er einen Tenor so überwältigend zart erklingen ließ, daß ich wette, die Wanderdrosseln und Hänflinge hielten inne, um zu lauschen. Mr. Hamlins Stimme war nicht geschult, der Gegenstand seines Gesanges war eine empfindsame Albernheit, von den Neger-Minstrels geliehen, aber durch Alles zitterte eine gewisse geheimnißvolle Eigenschaft von Ton und Ausdruck, die unaussprechlich rührend war.
In der That, es war ein wunderbarer Anblick, diesen sentimentalen Spielgauner mit einem Spiel Karten in der Tasche und einem Revolver auf dem Rücken zu sehen, wie er seine Stimme vor sich durch die düstern Wälder sandte mit einer Klage um »seiner Nelly Grab«, die durch ihre Weise die Augen des Zuhörenden mit Thränen überströmte. Ein Neuntödter, der frisch von seinem sechsten Opfer kam, starrte ihn, indem er vielleicht in Mr. Hamlin einen verwandten Geist erkannte, überrascht an und war genöthigt, die Ueberlegenheit des Menschen einzugestehen. Er war ein befähigterer Räuber, aber er konnte nicht singen.
Aber Mr. Hamlin befand sich bald wieder auf der Straße und in seinem früheren Schritte. Gräben und Kiesbänke, entblößte Berghänge, Stümpfe und verwitterte Baumstämme nahmen die Stelle von Waldland und Schlucht ein und zeigten an, daß er sich wieder der Civilisation näherte. Dann kam ein Kirchthurm in Sicht, und er wußte, daß er die Heimath erreicht hatte. Nach wenigen Augenblicken trappelte er die einzige schmale Straße hinunter, die sich in eine chaotische Trümmerstätte von Bahnen, Gräben und Mauerstücken am Fuße des Hügels verlor, und stieg vor den vergoldeten Fenstern des Magnolia-Salons ab. Indem er durch die lange Schenkstube schritt, stieß er eine mit grünem Fries beschlagne Thür auf, trat in einen dunkeln Gang, öffnete eine andere Thür mit einem Hauptschlüssel und befand sich nun in einem matterleuchteten Zimmer, dessen Geräth, obwohl für die Oertlichkeit elegant und kostbar, Zeichen von Mißhandlung zeigte. Der eingelegte Mitteltisch war überkrustet mit befleckten Scheiben, die in der ursprünglichen Zeichnung nicht vorgesehen waren. Die gestickten Armsessel waren ihrer Farbe verlustig gegangen, und das grünsammtene Sopha, auf welches Mr. Hamlin sich warf, war am Fußende mit dem rothen Boden von Wingdam beschmutzt.
Mr. Hamlin sang in seinem Käfig nicht. Er lag still da und blickte nach einem sehr bunten Gemälde über ihm, welches ein junges Geschöpf von reichlichen Reizen darstellte. Es fiel ihm da zum ersten Mal ein, daß er niemals ein Weib von genau derselben Art gesehen, und daß er, falls dies geschehen wäre, sich wahrscheinlich nicht in sie verliebt haben würde. Vielleicht dachte er an eine andere Art Schönheit. Indeß gerade jetzt klopfte jemand an die Thür. Ohne aufzustehen, zog er eine Schnur, die augenscheinlich einen Riegel zurückschnappen ließ; denn die Thür ging auf, und ein Mann trat ein.
Der Neuankommende war breitschulterig und robust – eine Kraft, die sein Gesicht nicht ausdrückte, welches, obwohl hübsch, doch eigenthümlich weichlich und durch Ausschweifung entstellt war. Er schien auch unter dem Einfluß von geistigem Getränk zu sein; denn er fuhr, als er Mr. Hamlin sah, zusammen, und sagte: »Ich dachte, Kate wäre hier,« stotterte und schien verwirrt und verlegen.
Mr. Hamlin lächelte mit demselben Lächeln, welches er früher in der Wingdamer Kutsche gezeigt, und setzte sich auf, völlig erfrischt und bereit zum Geschäfte.
»Du bist nicht mit der Post gekommen,« fuhr der Neugekommne fort, »nicht wahr, nicht?«
»Nein,« sagte Hamlin, »ich verließ sie bei Scotts Fähre. Sie kommt erst in einer halben Stunde an. Aber was macht ‘s Glück, Brown?«
»Verdammt schlecht,« sagte Brown, indem sein Gesicht plötzlich den Ausdruck matter Verzweiflung annahm. »Jack,« fuhr er in winselndem Tone fort, der einen kläglichen Contrast zu seiner stämmigen Gestalt bildete, »kannst Du mir nicht mit einem Hundert bis zum morgenden Ausgleich aushelfen? Ich muß, siehst Du, meiner Alten Geld nach Hause schicken, und – Du hast den Betrag zwanzig Mal von mir gewonnen.«
Der Schlußsatz war vielleicht nicht ganz logisch, aber Jack übersah das und händigte seinem Besuch diese Summe ein. »Die Geschichte mit der Alten, Brown, wird nun bald ausgespielt haben,« fügte er als Commentar hinzu, »warum sagst Du denn nicht, daß Du wieder Pharo spielen willst. Du weißt doch, daß Du nicht verheirathet bist.«
»Bin’s wirklich,« sagte Brown mit plötzlicher Würde, wie wenn die bloße Berührung des Goldes mit seiner Handfläche seinem Körpergerüst einige Haltung mitgetheilt hätte. »Ich habe eine Frau – und eine verdammt gute, wenn ich Dir’s sage – in den Staaten. Es ist drei Jahre, seit ich sie zuletzt gesehen, und ein Jahr, seit ich an sie geschrieben habe. Wenn die Dinge glatt sind und wir auf die Goldader stoßen, werde ich nach ihr schicken.«
»Und Kate?« fragte Mr. Hamlin mit seinem frühern Lächeln.
Mr. Brown von Calaveras versuchte es, um seine Verwirrung zu verhüllen, mit einem pfiffigen Blick, den jedoch sein weichliches Gesicht und sein von Whiskey umnebelter Verstand nur kümmerlich zu Stande brachte, und sagte:
»Verdammt, Jack, ein Mann muß ein bischen Freiheit haben, weißt Du. Aber komm, was sagst Du zu einem Spielchen. Gieb uns eine Gelegenheit, dies Hundert zu verdoppeln.«
Jack Hamlin blickte neugierig auf seinen einfältigen Freund. Vielleicht wußte er, daß der Mann bestimmt war, das Geld zu verlieren, und zog vor, daß es wieder in seinen Kasten zurückflösse als in den eines Andern. Er nickte mit dem Kopf und zog seinen Stuhl an den Tisch. In demselben Augenblicke klopfte es an die Thür.
»’s ist Kate,« sagte Mr. Brown.
Mr. Hamlin ließ den Riegel zurückschnappen, und die Thür öffnete sich. Aber zum ersten Mal in seinem Leben sprang er taumelnd auf die Füße, durch und durch entnervt und verblüfft, und zum ersten Mal in seinem Leben rötheten seine farblosen Wangen sich tief bis zur Stirn hinauf. Denn vor ihm stand die Dame, die er aus der Wingdamer Postkutsche gehoben hatte, und die Brown, seine Karten mit einem hysterischen Lächeln fallen lassend, als –.
»Donnerwetter, meine Alte!« begrüßte.
Man sagt, Mrs. Brown sei in Thränen und Vorwürfe gegen ihren Mann ausgebrochen. Ich sah sie 1857 in Marysville und glaube nicht an die Geschichte. Und die »Wingdamer Chronik« der nächsten Woche sagte unter der Ueberschrift: »Rührende Wiedervereinigung«: »Letzte Woche fand in unsrer Stadt eines jener schönen und ergreifenden Ereignisse statt, welche dem californischen Leben eigenthümlich sind. Die Gattin eines der hervorragendsten Bahnbrecher Wingdams, müde geworden der entnervten Civilisation des Ostens und seines unwirthlichen Klimas, entschloß sich, sich ihrem edlen Gemahl auf diesen goldnen Ufern wieder anzuschließen. Ohne ihn von ihrer Absicht zu unterrichten, unternahm sie die lange Reise und traf letzte Woche ein. Die Freude des Gatten läßt sich leichter vorstellen als schildern. Das Zusammentreffen soll unbeschreiblich rührend gewesen sein. Wir hoffen, ihr Beispiel wird Nachfolge finden.«
Entweder durch Mrs. Browns Einfluß oder infolge erfolgreicherer Speculationen besserte sich Mr. Browns finanzielle Lage von diesem Tage an ununterbrochen. Er kaufte seine Compagnons in der Goldgrube »Zwick und Kniff« mit Gold aus, von dem es hieß, er habe es ein paar Wochen nach Ankunft seiner Frau mit Pokerspielen gewonnen, welches das Gerücht aber, indem es die Theorie von Mrs. Brown sich aneignete, nach welcher Brown den Spieltisch verschworen hatte, für von Mr. Jack Hamlin geliefert erklärte. Er kaufte und möblirte das »Wingdam House«, welches die große Beliebtheit der hübschen Mrs. Brown fortwährend mit Gästen überfüllte. Er wurde in die Volksvertretung gewählt und gab reichlich den Kirchen. Eine Straße in Wingdam wurde ihm zu Ehren benannt.
Dennoch bemerkte man, daß er in dem Maße, wie er an Reichthum und Glück wuchs, bleich, mager und ängstlich wurde. Als die Beliebtheit seiner Frau zunahm, wurde er launenhaft und ungeduldig. Der am meisten in seine Frau verliebte aller Ehemänner, war er abgeschmackt eifersüchtig. Wenn er sich nicht in die gesellschaftliche Freiheit seiner Frau mischte, so war es, wie man sich boshaft zuflüsterte, weil sein erster und einziger Versuch einem Ausbruch von Seiten Mrs. Browns begegnete, der ihn erschrocken schweigen hieß. Viel von dieser Art Klatsch ging von denjenigen ihres eignen Geschlechtes aus, die sie in Betreff der ritterlichen Aufmerksamkeiten Wingdams verdrängt hatte, welche, wie meistentheils die volksthümliche Ritterlichkeit, einer Bewunderung der Macht, sei es nun männlicher Kraft, sei es weiblicher Schönheit geweiht waren. Man muß auch zu ihrer Entschuldigung daran erinnern, daß sie seit ihrer Ankunft unfreiwillig die Priesterin eines mythologischen Cultus gewesen war, der vielleicht ihre Weiblichkeit nicht mehr veredelte als der, welcher eine ältere griechische Demokratie auszeichnete. Ich glaube, daß Brown ein dunkles Bewußtsein davon hatte. Aber sein einziger Vertrauter war Jack Hamlin, dessen unglücklicher Ruf natürlich jede offne Intimität mit der Familie ausschloß, und dessen Besuche nicht häufig waren.
Es war Spätsommer und eine Mondscheinnacht, und Mrs. Brown, sehr rosig, großäugig und hübsch, saß auf der Piazza und genoß den frischen Weihrauch des vom Gebirge her wehenden Lufthauchs und, wie zu fürchten steht, noch einen andern Weihrauch, der nicht so frisch und auch nicht so unschuldig war. Neben ihr saßen Oberst Starbottle und Richter Boompointer sowie eine spätere Vermehrung ihres Hofstaats in Gestalt eines fremden Touristen. Sie war auf guter Laune.
»Was sehen Sie die Straße hinunter?« erkundigte sich der galante Oberst, welcher bemerkt hatte, daß seit den letzten Minuten Mrs. Browns Aufmerksamkeit von etwas abgelenkt gewesen war.
»Staub,« sagte Mrs. Brown mit einem Seufzer. »Nur Schwester Anna’s Schafheerde.«
Der Oberst, dessen literarische Erinnerungen sich nicht über die Zeitung der letzten Wochen hinaus erstreckten, sah die Sache praktischer an. »Es sind keine Schafe,« fuhr er fort, »es ist ein Reiter. He, Richter, ist das nicht Jack Hamlins Grauschimmel?«
Aber der Richter wußte es nicht, und da Mrs. Brown meinte, daß die Luft für weitere Untersuchungen zu kalt würde, zogen sie sich in die Wohnstube zurück.
Mr. Brown war im Stalle, wohin er sich gewöhnlich nach dem Mittagsessen zurückzog. Vielleicht war es, um seine Verachtung vor den Gesellschaftern seiner Frau zu zeigen, vielleicht fand er, wie andere schwache Naturen, ein Vergnügen in der Ausübung unbeschränkter Gewalt über niedere Wesen. Er fand eine gewisse Befriedigung im Zureiten einer kastanienbraunen Stute, die er nach Belieben schlagen oder streicheln konnte, was mit Mrs. Brown nicht anging. Hier war es, wo er ein gewisses graues Pferd erkannte, welches soeben hereingekommen war, und wo er ein Stückchen weiterhin dessen Reiter fand. Browns Gruß war freundlich und herzlich, der Hamlins etwas zurückhaltend. Aber auf Browns dringendes Verlangen folgte er ihm die Hintertreppe hinauf in einen schmalen Gang und von da in ein auf den Stallhof hinaussehendes Stübchen. Es war einfach mit einem Bett, einem Tisch, ein paar Stühlen und einem Gestell für Gewehre und Peitschen ausgestattet.
»Das ist hier meine Heimath, Jack,« sagte Brown mit einem Seufzer, indem er sich auf das Bett warf und seinen Gefährten auf einen Stuhl nöthigte. »Ihre Stube ist am andern Ende der Hausflur. Es ist mehr als sechs Monate her, daß wir, ausgenommen bei Tische, mit einander gelebt oder uns begegnet haben, ‘s ist doch schrecklich traurig für das Haupt des Hauses, nicht wahr?« sagte er mit einem erzwungenen Lachen. »Aber ich freue mich, Dich zu sehen, Jack, freue mich verdammt,« und er reichte ihm vom Bette die Hand und schüttelte sie nochmals, die seinen Druck nicht erwiderte.
»Ich habe Dich hier heraufgebracht; denn ich wollte im Stalle nicht darüber reden, obwohl, was das angeht, es schon in der ganzen Stadt herum ist. Mache kein Licht an. Wir können hier im Mondschein plaudern. Stelle Deine Füße auf das Fensterbret da und setze Dich neben mich. Dort in dem Kruge ist Whiskey.«
Mr. Hamlin bediente sich dieser Mittheilung nicht. Brown von Calaveras kehrte sein Gesicht der Wand zu und fuhr fort:
»Wenn ich das Weib nicht liebte, Jack, so sollte mich’s nicht kümmern. Aber wenn man sie liebt und sie Tag für Tag in dieser Weise fortfahren sieht und niemand ist, der dem ein Ende macht – das ist’s, was wehthut. Aber es freut mich, Dich zu sehen – es freut mich verdammt.«
In der Dunkelheit tastete er herum, bis er die Hand seines Gefährten gefunden und wieder gedrückt hatte. Er würde sie festgehalten haben, aber Jack schlüpfte damit unter das zugeknöpfte Bruststück seines Rockes und fragte achtlos: »Wie lange geht das nun so fort?«
»Die ganze Zeit, seitdem sie herkam, die ganze Zeit von dem Tage an, wo sie in die Magnolie hineinschritt. Ich war damals ein Narr, Jack, und ich bin jetzt ein Narr, aber ich wußte nicht eher, als damals, wie ich sie liebte. Und sie ist seitdem nicht dieselbe Frau mehr gewesen.
»Aber das ist nicht Alles, Jack, und ‘s ist deswegen, wenn ich Dich zu sehen wünschte und mich freue, daß Du gekommen bist, ‘s ist nicht, weil sie mich nicht mehr liebt, ‘s ist nicht, weil sie mit jedem Lümmel Narrethei treibt, der des Weges kommt; denn vielleicht setzte ich ihre Liebe und verlor sie, wie ich in der Magnolie alles Andre verlor, und vielleicht ist das Narretheitreiben manchen Weibern natürlich und es giebt dabei keinen großen Schaden, ausgenommen für die Narren. Aber, Jack, ich denke – ich denke, sie liebt jemand Anders. Bewege Dich nicht, Jack, bewege Dich nicht, wenn Dein Pistol Dich drückt, so leg’ es ab.
»Es ist jetzt mehr als sechs Monate, daß es schien, als ob sie sich unglücklich und einsam fühlte und nervös und scheu aussähe. Und manchmal betraf ich sie darüber, daß sie mir einen schüchternen und mitleidigen Blick zuwarf. Und in der letzten Woche hat sie ihre eignen Sachen – Pretiosen und Pelzgebräme und Juwelen – zusammengelegt, und Jack, ich denke, sie will davongehen. Ich könnte Alles ertragen, nur das nicht. Zu sehen, daß sie sich fortstiehlt wie ein Dieb.« Er legte sein Gesicht abwärts auf das Kissen, und einige Augenblicke war nichts zu hören als das Picken der Uhr auf dem Kaminsims. Mr. Hamlin zündete sich eine Cigarre an und schritt auf das offne Fenster zu. Der Mond schien nicht mehr in das Zimmer, und das Bett und der darin Liegende befanden sich im Schatten.
»Was soll ich thun, Jack?« sagte die Stimme aus der Finsterniß.
Die Antwort kam rasch und deutlich vom Fensterrande her: »Stelle den Mann und schlag ihn todt, sobald Du ihn zu sehen kriegst.«
»Aber, Jack?«
»Er thut’s auf seine Gefahr hin.«
»Aber wird das sie zurückbringen?«
Jack antwortete nicht, sondern ging vom Fenster nach der Thür.
»Geh noch nicht, Jack, zünde die Kerze an und setze Dich an den Tisch, ‘s ist ein Trost, Dich zu sehen, wenn nicht was Anderes.«
Jack zögerte und entsprach dann der Bitte. Er zog ein Spiel Karten aus seiner Tasche und mischte es, indem er nach dem Bette hinblickte. Aber Browns Gesicht war nach der Wand gekehrt. Als Mr. Hamlin die Karten gemischt hatte, schied er sie in zwei Hälften und theilte eine Karte nach der andern Seite des Tisches und nach dem Bette und die nächste auf seine Seite des Tisches für sich aus. Die erste Karte war ein Daus, seine eigne ein König. Er mischte und theilte noch einmal aus. Diesmal hatte Der, welchen er sich als Gegenpart dachte, eine Königin und er selbst eine Vier. Jacks Gesicht erhellte sich zu einem dritten Kartengeben. Es brachte seinem Gegner ein Daus und ihm wieder einen König.
»Zwei Mal von dreien,« sagte Jack hörbar.
»Was ist das?« fragte Brown.
»Nichts.«
Dann versuchte Jack sein Glück mit Würfeln, aber er warf immer Sechsen und sein eingebildeter Gegner Asse. Die Macht der Gewohnheit ist bisweilen verwirrend.
Inzwischen brachte irgend ein magnetischer Einfluß in Mr. Hamlins Gegenwart oder die schmerzstillende Wirkung des Schnapses oder beides Aufhören des Kummers, und Mr. Brown schlief ein. Mr. Hamlin schob seinen Stuhl an das Fenster und blickte hinaus auf die Stadt Wingdam, die jetzt friedlich schlief. Ihre scharfen Umrisse waren in dem Mondschein, der über Allem schwamm, gemildert und verwischt, ihre grellen Farben weicher und nüchterner geworden. Bei dem Schweigen konnte er das Gurgeln des Wassers in den Gräben und das Seufzen der Fichten jenseits des Hügels hören. Dann blickte er nach dem Firmament hinauf, und als er dies that, schoß ein Stern über das funkelnde Feld. Bald nachher ein anderer, dann noch einer. Das Phänomen brachte Mr. Hamlin auf den Gedanken, es mit einem andern Augurium zu versuchen. Wenn in den nächsten fünfzehn Minuten wieder ein Stern fallen sollte – Er saß da, die Uhr in der Hand, zwei Mal so lange, aber das Phänomen wiederholte sich nicht.
Die Wanduhr schlug zwei Uhr, und Brown schlief noch immer. Mr. Hamlin näherte sich dem Tische und zog aus seiner Tasche einen Brief, den er bei dem flackernden Kerzenlichte durchlas. Er enthielt nur eine einzige Zeile, die mit Bleistift geschrieben und von einer Frauenhand war.
»Seien Sie um drei Uhr mit dem Buggywägelchen an der Einzäunung.«
Der Schläfer bewegte sich mit der Geberde der Unbehaglichkeit und erwachte dann. »Bist Du da, Jack?«
»Ja.«
»Geh noch nicht. Mir träumte eben jetzt, Jack – mir träumte von alten Zeiten. Mir war’s, als ob Suschen und ich wieder getraut würden, und daß der Pfarrer, Jack – wer denkst wohl, war? – Du!«
Der Spieler lachte und setzte sich auf das Bett – das Papier immer noch in der Hand.
»Das ist ein gutes Zeichen, nicht wahr?« fragte Brown.
»Ich denke. Aber sag ‘mal, Alter, thätest Du nicht besser, aufzustehen?«
Der »Alte«, in dieser liebreichen Art angesprochen, erhob sich mit Hülfe der ausgestreckten Hand Hamlins.
»Rauchen?«
Brown nahm mechanisch die dargebotne Cigarre.
»Feuer?«
Jack hatte den Brief zu einer Spirale zusammengedreht, zündete ihn an und hielt ihn seinem Gefährten hin. Er hielt ihn so lange in den Fingern, bis er zusammengebrannt war, und warf das Restchen aus dem offnen Fenster, wo es wie eine Sternschnuppe hinabfiel. Er beobachtete sein Fallen und kehrte dann zu seinem Freunde zurück.
»Alter,« sagte er, indem er Brown seine Hände auf die Schultern legte, »in zehn Minuten werde ich auf der Straße sein und verschwunden wie jener Funke. Wir werden einander nicht wiedersehen. Aber nimm, bevor ich gehe, den Rath eines Narren an: verkaufe Alles, was Du hast, nimm Deine Frau und mache, daß Du aus dem Lande kommst. Es ist kein Ort für Dich, auch keiner für sie. Sag’ ihr, sie müßte fort, zwinge sie zum Gehen, wenn sie nicht will. Winsele nicht, weil Du kein Heiliger sein kannst, und sie kein Engel ist. Sei ein Mann – und behandle sie wie ein Weib. Sei kein verdammter Narr. Lebe wohl.«
Er riß sich aus Browns Umarmung los und sprang wie ein Hirsch die Treppe hinunter. An der Stallthür ergriff er den halb eingeschlafenen Hausknecht beim Kragen und drückte ihn mit dem Rücken an die Wand.
»Sattle mein Pferd in zwei Minuten, oder –« Die Weglassung war furchtbar leicht verständlich.
»Die Madam sagte ja, Sie sollten das Buggywägelchen haben,« stotterte der Mensch.
»Hol’ der Teufel das Buggywägelchen!«
Das Pferd wurde so rasch gesattelt, als die bebenden Hände des erstaunten Hausknechts mit Schnalle und Riemen fertig werden konnten.
»Ist irgendwas los, Mr. Hamlin?« fragte der Mann, der wie alle von seiner Klasse das Ungestüm seines feurigen Gönners bewunderte und sich wirklich um sein Wohl Sorge machte.
»Tritt aus dem Wege!«
Der Mann sprang zurück. Mit einem Fluche, einem Satze und einem Getrappel war Jack auf der Straße. Noch ein Augenblick, und für die halb wachgewordnen Augen des Mannes war er nur noch eine sich vorwärts bewegende Staubwolke in der Ferne, auf welche ein Stern, der sich soeben von seinen Brüdern gelöst hatte, einen Feuerstrom herabfunkeln ließ.
Aber an jenem Morgen in der Frühe hörten die Anwohner der Wingdamer Chaussee, meilenweit hinweg, eine Stimme rein wie die einer Lerche draußen im Felde singen. Diejenigen, welche schliefen, drehten sich auf ihren rauhen Lagerstätten um, um von Jugend und Liebe und alten Tagen zu träumen. Männer mit harten Gesichtszügen und gierige Goldsucher, bereits an der Arbeit, hielten mit ihrem Schaffen inne und lehnten sich auf ihre Hacken, um der Weise eines romantischen Herumtreibers zu lauschen, der auf den rosenrothen Sonnenaufgang zutrabte.