Von Fritz Barschdorff

     Meister Hanns betrieb schlecht und recht eine kleine Schlosserei. Ich kannte ihn schon lange als einen spekulierenden Kopf, der an allem, was ihm unter die Hände kam, Verbesserungen anbrachte, jedes Ding nach seiner Weise zu modeln suchte und sich nie damit zufrieden gab, wie es in der Welt nun einmal war, sondern gern davon sprach, wie es sein könnte und müßte. Er hatte mir oft von seinen Zukunftshoffnungen erzählt, seinen Plänen und eignen Erfindungen, die er als Patent anzumelden gedachte.

Die Zeit der ersten Fliegererfolge, die ersten Zeppelinfahrten hatten ihn mächtig ergriffen. Er hielt mehrere Zeitschriften für Flugsport und las Bücher über Flugprobleme.

Als ich da wieder einmal zu ihm kam, sah ich in ein lächelndes Gesicht. Er führte mich ohne weiteres in einen, durch eine Bretterwand abgeschlossenen Raum, in dem allerlei Gerümpel herumstand und -lag. Von einem Tisch nahm er ein paar große Zeichenbogen und hielt mir einen kleinen Vortrag, dem ich entnahm, daß er ein Luftschiff bauen wollte. Das wäre die Konstruktion der einzelnen Teile, und sein Schiff sollte sich nicht nur in der Luft, sondern auch im Wasser fortbewegen. Aus seinen Worten sprach große Zuversichtlichkeit, und erwartungsvoll sah er mich an. Ich verstände nichts davon, sagte ich, aber wenn das auf dem Papier mit seinen Gedanken zusammenstimme und er den Bau seines Luftschiffs für ausführbar halte, warum sollte da nichts werden?

Einmal zeigte er mir das Gerippe der Tragflächen, dann den Propeller, dann wieder Seiten- und Höhensteuer. Er sah bleich und übernächtig aus, da er die Nächte an seiner Erfindung bastelte und studierte. Am Tage schlief er mehrere Stunden, und mancher Kunde, der die Werkstatt verschlossen fand, kam nicht wieder.

Eines Tages trat ich im Vorbeigehen bei ihm ein und fand ihn in dem kleinen Nebenraum, der jetzt sauber hergerichtet war. Der Tisch war mit einem weißen Tuch gedeckt, und darauf stand das fertige Modell seines Luftschiffs. Freunde und Bekannte standen um den Tisch herum, und Meister Hanns erklärte alles und beantwortete alle Fragen bereitwillig. Jeder fand das Modell bis aufs kleinste und feinste ausgeführt, lobte ihn und wünschte ihm Erfolg. Als ich allein bei ihm zurückblieb, schaute er mich lächelnd an wie ein glückliches Kind. Die Hände auf dem Rücken, spazierte er, liebevoll sein Werk bestaunend, um den Tisch. Spähend rückte er an einem der Verbindungsdrähte und probierte die Beweglichkeit der Tragflächen. Dabei erzählte er mir von seinen weiteren Plänen. Er habe bereits an verschiedene Gesellschaften geschrieben, die sich mit dem Bau von Flugzeugen befaßten. Sie hätten geantwortet, daß sie ihren Vertreter schicken wollten. Dann suche er auch einen Geldmann, damit er den Bau seiner Luftschiffe selbständig betreiben könne. Das wäre ihm am liebsten; denn bei einer Gesellschaft wäre er denn doch nur deren Angestellter. Auch einen Fluglehrer, einen Offizier, habe er kennengelernt, der sich für sein Modell interessiere. Überhaupt läge ihm jetzt etwas daran, daß er und seine Erfindung bekannt würden. Man würde nicht beachtet, wenn man still und bescheiden im Hintergrund bliebe. Nein, Radau und Reklame müßte man machen, um gesehen und gehört zu werden. Man müßte im Munde der Leute sein, damit sie immer etwas zu reden hätten. Wenn auch nur die Hälfte von dem, was sie erzählten, wahr wäre, dürfe man sich nicht daran stoßen. Es gäbe immer Krähen, die krächzten, wenn einer höher als sie flöge. Nach einer Pause setzte er hinzu, daß er seine Werkstatt irgendeinem armen Kerl schenken wolle.

Beim Hinausgehen wies er auf ein altes hinfälliges, zweisitziges Auto, das er für eine Schuld angenommen hatte und das nun schon mehrere Monate im Hof stand. Es war ein jämmerlicher Kasten. Hanns meinte, er gäbe zu, daß einem neunundneunzig Pfennige an einer Mark fehlten, wenn man den Kasten ansähe. Das hindere ihn aber alles nicht, den alten Kasten wieder aufzufrischen, damit nach dem Flugplatz zu fahren, um dem Offizier das Modell zu zeigen. Es sähe doch gleich ganz anders aus, wenn er in einem Auto ankäme. Ein paar Wochen würde die Reparatur allerdings in Anspruch nehmen. Aber der Motor wäre noch gut, und der wäre ja die Seele. Ob ich mitfahren wolle, frug er noch. Ich sagte zu, und wir setzten einen Tag fest.

An dem bestimmten Tage stand er auf dem Hofe. Er trug gelbe glänzende Gamaschen und einen hellbraunen Staubmantel. Seine Mütze schwenkend und auf sein Äußeres deutend, lachte er mir zu: »Es sieht besser aus.«

Sein Auto war in einem ganz leidlichen Zustand. Er habe den Motor vollständig auseinandergenommen, jeden einzelnen Teil gereinigt und geölt, die Schläuche der Gummireifen geflickt, das Segeltuchverdeck ausgebessert und so noch allerhand –. Er habe schon eine Probefahrt gemacht. Es wäre ein Staat, wie die Karre laufe; wie ein Teckchen, setzte er hinzu und zog mit einer stolzen Bewegung ein Paar neue Stulpenhandschuhe an. Auch für mich hatte er einen Staubmantel und eine Autobrille aufgetrieben. Er übergab mir beides und sagte wieder lachend: »Es sieht immer besser aus.« Auf dem Reparaturkasten, der sich an der hinteren Seite des Wagens befand, hatte er sein Modell fein säuberlich verpackt und festgebunden. Ich bekam die Rolle mit den Zeichnungen in die Hand, da er ja den Wagen steuern wollte.

Nun war alles bereit. Hanns ging an die Stirn des Wagens und kurbelte den Motor an. Fünf- bis sechsmal riß er die Kurbel herum. Er zog seine Stulpenhandschuhe aus und versuchte es wieder. Er schwitzte bereits. Nun versuchte ich’s. Auch mir gelang es nicht. Hanns schob mich beiseite und riß mit aller Kraft an der Kurbel. Endlich, unter einem donnerähnlichen Krach, kam der Motor in Gang und bullerte darauf los. Er machte aber seinem Ingrimm noch in fauchenden, platzenden Ausbrüchen Luft. Der ganze Wagen schütterte und hüpfte unter der Arbeit des Motors. Wir sprangen in den Wagen, und hupend ging’s zum Tore hinaus. Der Motor hielt sich brav, und so brachten wir die Stadt bald hinter uns.

»Wenn er sich erst einmal warmgelaufen hat, läuft er –! Wie ein Teckchen.« So schrie mir Hanns zu.

Solange wir gerade glatte Straßen hatten, ging es noch.

Aber o weh! Da machte die Straße eine Steigung. Der Motor lärmte, rasselte wie eine Kette, die in einem verrosteten Blecheimer herumgeschüttelt wird, schnaubte kurzatmig und stand. Hanns sprang hinaus. Er riß wieder an der Kurbel. Alles umsonst. Manchmal schien das verheißungsvolle Bullern wieder gleichmäßig einsetzen zu wollen. Aber die »Seele« brachte keine Schwungkraft mehr auf. Wir untersuchten nun den Motor, um zu entdecken, woran die Stockung wohl liegen könne. Da mußte aber erst das Modell wieder losgebunden werden, damit wir in den Werkzeugkasten gelangen konnten. Nach stundenlangem Herumhantieren, Schrauben und Hämmern gelang es endlich, den Motor wieder in Gang zu setzen. Wir sausten los, als gälte es, die Landstraße zu verschlucken. Ich machte mich mit dem Gedanken vertraut, daß es sehr spaßig aussehen müsse, wenn der Wagen in voller Fahrt mitten auseinanderfiele und die Vorderräder mit dem Motor weiterfegten.

Als wir auf dem Flugplatz angelangt waren, wurde das Modell aufgestellt, und Hanns machte sich auf, den ihm bekannten Fluglehrer zu suchen. Er kam auch bald inmitten einer Gruppe von Herren wieder. Teils waren es Flugschüler, teils Offiziere. Lebhaft wurde debattiert und hin- und hergesprochen. Von allem Möglichen und Unmöglichen.

Keiner wollte mit Bestimmtheit behaupten, ob ein Luftschiff auch fliegen könne, wenn es nach diesem Modell gebaut würde.

Der Besuch auf dem Flugplatze endete unter höflichem Abschiednehmen und vielen Wünschen für baldigen Erfolg.

Wir wollten nun wieder unser Auto besteigen. Aber der Motor streikte. Sehnsüchtig sah Meister Hanns hinauf in den blauen Himmel. Dort schwebte mit ausgebreiteten Schwingen ein Flugapparat, eine Taube. Ruhig zog sie ihre Kreise. Ihr heller Leib glänzte in der Sonne. Lustig knatterte der Motor, daß es wie eine himmlische Musik in unsern Ohren klang. Einer plötzlichen Aufwallung folgend, belegte Meister Hanns sein Auto mit den erdenklichsten Schimpfworten und redete sich in eine solche Wut, daß ich es nicht verwunderlich gefunden hätte, wenn er den altersschwachen Kasten mit der müden, entflohenen Seele einfach hätte stehen lassen.

Als er sich ausgeschimpft hatte, schoben wir den Wagen auf die Landstraße bis zu einer Anhöhe. Von der Anhöhe ließen wir ihn herabrollen, bis er stillstand. So ging das nicht weiter. Zum Glück kam ein Mietauto vom Flugplatze zurück. Hanns rief den Chauffeur an. Sie wurden handelseinig, und das defekte Auto wurde mit einem starken Strick an das Mietauto angeseilt. So ging’s nach der Stadt zurück.

Es war keine lustige Fahrt. Denn Hanns dachte an die vergangene Besichtigung und widerlegte gereizt die harmlosen Bemerkungen des Fluglehrers und seiner Schüler …

Nach langer Zeit hörte ich, daß Meister Hanns seine Schlosserei aufgäbe und von dem Erlös die Verkaufsstelle einer Molkerei übernähme. Ich suchte ihn auf und kam gerade, als man ihm seine letzten Arbeitstische und Schraubstöcke hinaustrug.

Wir standen zusammen in seiner Werkstatt hinter der Bretterwand. Lange schwiegen wir. Er kaute an seiner kurzen Pfeife und blies den Rauch gedankenvoll vor sich hin.

»Wenn man selber Geld hätte – –«, sagte er, die Pfeife zwischen den Zähnen. »Oder wenn man wenigstens nicht verheiratet wäre – – –.« Sinnend paffte er und sah dem davonschwebenden Rauch nach.

Ich wagte ihn nicht zu stören und ging leise an die Tür. Aus seinen Worten sprach die ganze Erfindertragik. Armut, schlaflose, von Grübeln und Studieren erfüllte Nächte, peinigendes und hoffendes Warten, jähes Emporwollen und niederdrückendes Gebundensein.

 

 

Ein fixer Junge.

 

ährend der Engrosmesse hatte ich einmal Gelegenheit, in die innere Stadt zu gehen.

Am Naschmarkt war eine ziemliche Menschenmenge um einen Ausschreier versammelt. Ich drängte mich hinzu und erkannte in dem Ausschreier einen ehemaligen Schulkameraden.

Der Faschingszug der Reklamebilder und -schilder zog an mir vorüber, und ich dachte an die vergangene Schulzeit.

Im Gegensatz zu den artigen, braven und folgsamen Jungen, vergaß man den, den ich hier wiedersah, so leicht nicht wieder.

Er war bei allen Jungenstreichen obenan und dabei von einer so verblüffenden Geistesgegenwart und Gerissenheit, daß sein Ruhm bei allen Lehrern, bis zum Direktor, und selbst in umliegenden Polizeiwachen befestigt war.

Alljährlich zogen wir ein paar Tage vor dem »Tauchschen«1 auf den Brühl und gingen die »Itzige« um Felle an. Wie freigebig die »Itzige« waren! Abfälle von Tierschwänzen aller Art, manchmal sogar brustgroße Fellstücke, warfen sie uns zum Fenster herunter. Sie hatten dabei auch ihr Spezialvergnügen. Denn wenn sich die ganze Jungenschar am Boden um die Beute balgte, folgte hinterher ein Schwapp Wasser, das uns oft bis auf die Haut näßte, aber in der Hitze des Gefechtes nicht weiter auffiel.

1Tauch(a)scher Jahrmarkt.

Ein Tauchscher ist mir noch lebhaft in der Erinnerung.

Damals standen in der Wächterstraße noch nicht die vornehmen abgeschlossenen Villen. Nur ein Neubau stand dort. Sonst waren es große umzäunte Plätze, auf denen lustig Gras und Löwenzahn wucherten. Und daß ich die Bäume nicht vergesse, die so schmackhaftes Obst trugen. Zwar hatte uns der Platzwächter gedroht, daß er uns schon einmal erwischen werde, aber er ließ sich selten sehen, und ein Zaun – ist das ein Hindernis für einen Jungen?

Wir, ausgestattet, bekleidet und nicht bekleidet, wie echte Indianer und Trapper, besetzten nun den Neubau, der als Blockhaus galt und von den Indianern belagert und erstürmt wurde. Nur in Brand steckten wir’s nicht, wie das die richtigen Wilden machen. Im ersten Stock, dessen Fußboden vorläufig noch aus Balken bestand, wurde die Friedenspfeife geraucht. Eine Wache hatten wir ausgestellt, damit uns kein Unberufener störte. Und die Wache meldete auch bald, daß der Wächter käme.

Dieser stand unten an der langen Leiter, schwang einen tüchtigen Knüppel und rief: »Kommt nur runter!«

Während unser Häuptling, oben an der Leiter stehend, mit ihm verhandelte und einige wohlmeinende Redensarten wechselte – balancierten wir übrigen von Balken zu Balken, bis an die Hinterseite des Baues. Dort baumelte ein Tau, an dem die Eimer hinauf- und herabgeleiert wurden, und einer nach dem andern rutschte an dem Tau hinab. Der Häuptling, der unsern Rückzug gedeckt hatte, geriet nun aber selbst in Bedrängnis. Denn der Wächter begann die Leiter hinaufzuklimmen. Schon tauchte sein Kopf auf. Aber bis zur Hinterseite, dort wo das Tau hing, war es dem Häuptling zu weit. Er machte deshalb einen Sprung zum Fenster. Ein Baum reichte dort seine Zweige herein. Ein Satz – der Häuptling sprang vom Fenster herab, mitten in den Baum. Wie eine Katze kletterte er den Stamm entlang und ließ sich auf die Erde fallen.

Ein Siegesgeheul verkündete dem Wächter, daß es diesmal noch nichts war mit dem Erwischen.

Und jetzt war dieser Häuptling, dem damals allseitige Bewunderung gezollt wurde, Straßenverkäufer.

Ganz nett und bürgerlich sah er aus. Er verkaufte Ansichtskarten, die reißenden Absatz fanden. Unter seinem Arm trug er einige Pappkästen mit Ansichtskarten, und zwischen seinen Füßen standen ebenfalls einige dieser Kästen. Und nun zu sehen, wie er mit der rechten Hand aus der unter den linken Arm geklemmten Pappschachtel immer neue Karten nahm, sie in die zahlreich ausgestreckten Hände gab, gleichzeitig das Zehnpfennigstück in seine Rocktasche gleiten ließ; sich langsam im Kreise drehte und die zwischen seinen Füßen aufgestapelten Kasten mitdirigierte – dabei unermüdlich redend und preisend – das zu sehen war allein zehn Pfennige wert. Ja, das Publikum schien selbst seine Freude an dieser taschenspielerartigen Fertigkeit zu haben. Denn aus allen Richtungen des Kreises scholl es: »hier – mir eine – mir auch –«, so daß er sich fortwährend redend, Karten austeilend, Geld kassierend drehte, aber keinen Moment irremachen ließ.

Da entstand eine kleine Pause.

Ein Herr schob sich durch den Kreis. Mit hochrotem Kopf schrie er: »Sie oller Quasselfritze, wat issn det fürn Humbug mit die Kaarte. Is ja janz schwarz – is ja nischt zu sehn druff!«

Der Kartenverkäufer schien ihn nicht zu beachten. Er nahm noch einige Geldstücke in Empfang und sagte dann mehr gutmütig: »Sie haben das nicht richtig gemacht, wie ich das erklärt habe. Meine Herrschaften, ich will Ihnen das noch einmal erklären. Man geht also an einen dunklen Ort – sehen Sie – die Karte ist ganz schwarz. Nun nehmen Sie ein Streichholz und halten es hinter die Karte. Da werden Sie sehen – einen Herrn und eine Dame – na, ich will weiter nichts sagen. Alles lacht! Der größte Meßschlager!« Und er begann seine Karten weiter zu verkaufen.

»Hab ick doch jemacht!« rief der Käufer dazwischen.

»Da haben Sie wohl das Streichholz nicht angebrannt?« frug der Verkäufer mit unschuldiger Miene.

»Nu warte man, Freundchen – jetzt werd ick mal’n Schutzmann holen«, drohte der andere erbost.

Wie er sich zum Gehen wandte und vom Schutzmannholen sprach, rief ihm der Kartenverkäufer nach: »Ach, du denkst wohl, weil du aus Berlin bist, kannst du die Leite uff der Leipziger Messe alleene anschmiern? Siehste – jetzt hammer dich ooch mal angeschmiert.«

Das Publikum war lächelnd diesem Zwist gefolgt und amüsierte sich nicht zuletzt über die Entrüstung, des um seinen Stammtischwitz betrogenen Meßonkels.

Aber nun brach unter allen »Angeschmierten« ein Gelächter los, wie es wohl die beiden Löwen am Naschmarkt selten gehört haben.

Ich hätte meinen ehemaligen Schulkameraden gern einmal gesprochen. Aber er war spurlos verschwunden. Denn ein Ratsdiener tauchte auf. Und den hatte er natürlich schon längst gesehen.