Von Fritz Barschdorff

Wer ihn in der Dämmerung an der Ecke neben seiner Droschke stehen sah, konnte wohl meinen, einen ungeschlachten Bären zu sehen. Die dicke zottige Pudelmütze, der dicke, innen gefütterte Mantel und die groben Holzschuhe machten aus dem ganzen Menschen einen unförmlichen schwarzen Klumpen. Nur der kleine Ausschnitt des von Wind und Wetter bronzenen Gesichts unterbrach das Schwarz der Erscheinung.

Oft saß er auch wohl auf dem Bock seines Wagens und starrte in das lichterfüllte wühlende Großstadttreiben, bis die Reihe an ihn kam, einen Passagier durch die Stadt zu fahren. Verträumt, noch das Sinnen im Auge, faltete er dann die Pferdedecke zusammen, ließ die Bremse locker und steuerte, mit der Zunge schnalzend, in das Gewühl hinein.

Hei! Das war eine Freude, sich so in dem Getümmel zwischen allerhand Fuhrwerk im schlanken Trabe hindurchwinden zu können. Wie das alles ineinander griff. Manchmal schien es ein unentwirrbarer Knäuel zu werden, als hätten sich Räder und Wagen zu einem wunderlichen Knoten verfitzt. Da hieß es, im Moment eine erspähte Lücke benutzen und jede Handbreit Luft am Boden in der Sekunde günstig verwerten. War glücklich wieder freie Bahn, dann knallte der feine Bernhard wohl pfeifend mit der Peitsche oder drohte nach einem andern hin. Der Stümper – wenn er etwa nicht fahren könne, solle er’s ja bleiben lassen!

Vormittags, wenn er in der Destille frühstückte, zeigte sich auch oft sein Kopf an der Türscheibe. Sah er, daß jemand an seinem Wagen stand und auf den Kutscher wartete, trank er erst sein Bier aus und stapfte ruhig ohne Eile über die Straße. Die Leute sagten dann: seht nur, wie er rennt, der feine Bernhard – er hat’s ja auch nicht nötig – er möchte noch gute Worte haben, wenn man in seiner Karrete fahren will. Er ging deswegen nicht schneller. Die Leute –! Aber er – er erzählte ihnen nichts von dem, was ihn bewegte, er frug sie nicht um ihre Meinung, legte seine Gedanken nicht vor ihnen auf den Tisch, daß sie sie von allen Seiten begucken konnten. Nein – er erzählte ihnen nicht einmal eine Geschichte, in der ein Frauenzimmer vorkam, bei der sie sich hätten zunicken können: is doch ein geriebener Junge – nein, nicht einmal das tat er.

Es war ihm immer gut gegangen. Erst war er Hoteldiener gewesen, hatte gegeizt und gespart, wo es nur anging. Trinkgelder gab es reichlich in der Saison. Im Sommer diente er in Badeorten und erübrigte sich jedesmal einen hübschen Batzen Geld. Bis er es so weit gebracht hatte, selbständiger Droschkenkutscher zu werden und seine zwei Braunen im Stall zu haben, die er abwechselnd laufen ließ …

Februar war’s und die vielen Maskenbälle verschafften manche reichliche Nachtfuhre. Der feine Bernhard hielt vor einem großen Vergnügungslokal. Buntfarbige Plakate wiesen auf den Maskenball hin. Öffneten sich die Türen, so zog wie aus einem Ventil heißer dichter Qualm an der Decke des kurzen Vorraums entlang und zerfloß an der frischen Nachtluft im Licht der Bogenlampen. Dazu war sekundenlang ein quirlendes Gemisch von menschlichen Stimmen und das abgehackte Stück eines Walzers zu hören.

Es war schon spät in der Nacht. Bernhard hatte die Hände in die Taschen seines Mantels vergraben, die Mütze tief im Gesicht und saß im Halbschlummer auf seinem Bock. Ein Herr im Zylinder tippte ihm mit dem Spazierstock auf den Arm, nannte Straße und Hausnummer und stieg in den Wagen.

In langsamer Fahrt rollte der Wagen durch die stillen Straßen. Bernhard tat einen mächtigen Gähner. Müde war er heute wieder! So richtig schlafen konnte man jetzt so selten. Es sollte heute auch die letzte Fuhre sein.

Er hielt vor dem angegebenen Hause. Der Herr stieg aus, bezahlte und schloß pfeifend seine Haustür auf.

Durch einen leichten Schlag aufgemuntert, trabte der Braune dem Stall zu. Dieser war im Hofe eines altertümlichen Gasthauses, wo meistens Bauern, Landleute, besonders an Markttagen, übernachteten. Neben dem Stall war ein kleiner Raum, eine einzelne Stube, in der er schlief und wohnte.

Er schirrte das Pferd ab, schüttete Futter, hing das Lederzeug und das Gestänge an den großen eisernen Haken und ging, den Wagen unter den Schuppen zu zerren. Öffnete die Wagentür, um die gute Plüschdecke während der Nacht herauszunehmen. Da traf seine Hand, die im Dunkel auf dem Wagensitz herumtastete, unvermutet auf einen warmen Körper.

Wa–was war denn da los? Er nahm eine der noch brennenden Kutschlampen und leuchtete ins Wageninnere.

Eine weibliche Gestalt lehnte in einer Ecke. Sie hatte ein apfelsinengelbes Maskenkostüm an, das mit rotem und grünem Flitterkram übersät war.

Er setzte sich ihr gegenüber und betrachtete sie aufmerksam. Der Kopf war zur Seite gesunken, und die mit einer Nadel in dem hellblonden Haar befestigte Mütze war auf das eine Ohr gerutscht. Das ausgeschnittene Kostüm ließ ein Stück der weißen Brust sehen, die sich in regelmäßigen Atemzügen hob und senkte. Neben ihr lag ein Bündel.

Das war ja eine nette Überraschung. Himmel Herrgott! Hm, alt war sie ja nicht gerade – na jung auch nicht mehr. Die hatte der im Zylinder wohl hier liegen lassen. Hm – er war ja auf dem Bock eingenickt – dann hatte ihn der munter gemacht – und da mußte sie wohl zuvor eingestiegen sein.

Jjajjajaa – was war da zu machen? Sie hier ruhig schlafen lassen? Daß sie morgen früh in ihrem Aufputz wieder fortlief? Vielleicht wußte sie selber nicht, wo sie hingehörte. Wenn er sie nun in seine Stube trug? Da konnte sie schlafen, solange sie wollte, und kein Mensch sah sie. Nachher konnte man ja weitersehen.

Na ja freilich, brummte er, stieg aus dem Wagen und hing die Lampe wieder an ihren Ort. Da war das Mädchen jedenfalls ordentlich eingeseift worden und hatte nun einen Tüchtigen in der Krone.

Er hing die Wagentür aus, der sie am nächsten saß. Behutsam faßte er sie mit einem Arm unter den Knien, mit dem andern um den Leib und zwängte sich mit ihr aus dem Wagen.

Himmel, an der war schon was dran! Eine hübsche Last war das. Da gibt man sich schon so wenig wie möglich mit Frauenzimmern ab, und dabei kommt einem ein so seltener bunter Vogel von selber ins Nest geflogen. Er legte sie schweratmend in sein eisernes Feldbett und deckte sie mit der Pferdedecke zu. Im Wagen fand er noch einen ihrer Halbschuhe, den er vor das Bett stellte.

Hm – was wollte er nun mit sich und seiner Müdigkeit anfangen? Er zog seine Strickjacke aus und versuchte, nur mit den Hosen bekleidet, sich neben sie zu legen. Nein, das war nichts. So ließ sich’s auf die Dauer nicht schlafen. Das Feldbett war zu schmal. Er ging hinüber in den Stall, schüttete in einer Ecke Stroh auf, breitete eine Decke darüber und deckte sich mit seinem Pelzmantel zu. Freilich – hier war schon mehr Platz. Er gähnte und lachte ein wenig. Wer ihm vor einer Stunde gesagt hätte, daß er wegen einer wildfremden, vergessenen Maske im Stall schlafen würde – na, den hätte er vielleicht – was einem doch nicht alles passieren kann –. Ruhig schlief er ein.

Am nächsten Morgen ging er an seine gewohnte Arbeit. Brachte den Pferden frisches Wasser und Futter, putzte und striegelte. Während er so auf dem Rücken des einen Braunen herumarbeitete, die Hufe stampften und scharrten, die wedelnden Schweife die Fliegen verscheuchten und das Mahlen der kauenden Gebisse zu hören war, dachte er an die vergangene Nacht. Ob sie noch schlief? Überhaupt – daran hatte er noch gar nicht gedacht – wenn man so jemand hätte, der einem mal die Treter schmierte oder früh eine Tasse heißen Kaffee kochte – in der Strickjacke war das Loch unter dem Ärmel auch schon wer weiß wie lange – – hm, das wäre gar nicht so ohne. Er setzte den Wassereimer aus der Hand und ging die paar Schritte über den Hof. Spähend sah er durch das kleine schmutzige Fenster in die Stube. Nichts regte sich. Dort vor dem Bett lag noch, wie eben hingeworfen, der Halbschuh. Am Kopfende schaute ein Stück ihrer gelben spitzen Mütze hervor. Sie schlief also noch. Na, einen anständigen Affen mußte sie schon gehascht haben!

Er ging leise hinein und machte die Tür des Wandschranks, der dem Bett gerade gegenüber hing, weit auf. Sie mußte es sehen, daß da ein halbes Brot lag, unter der Glasglocke Butter, Speck und der feine zerlaufene Käse stand. Behutsam ging er.

Er machte sich fertig, schirrte das Pferd an, schloß  den Stall mit dem Querbalken und fuhr zum Hoftor hinaus.

Ach was – er kam ja gegen Abend wieder, um das Pferd zu wechseln, und zu mausen gab’s in seiner Stube nicht viel, was der Rede wert gewesen wäre.

An seinem Standort saß er zeitunglesend auf dem Bock; nickte dem und dem zu, war gleichmütig wie immer. In der Destille frühstückte er, stand hinter der Tür an die Wand gelehnt, betrachtete die Vorübergehenden und blinzelte nach seinem Wagen.

Als es zu dunkeln begann, fuhr er wieder nach Hause. Jetzt konnte er seine Ungeduld kaum noch zähmen. Schwer war’s doch geworden, sich so gar nichts anmerken zu lassen. Aber dabei ein so schönes Gefühl – wenn ihr wüßtet – – –.

Auf dem Hofe angelangt, näherte er sich sogleich seiner Stube. Ein eigentümliches Schleifen und Kratzen ertönte. Er trat ein. Sie kniete auf dem Boden und scheuerte mit der Wurzelbürste darauf los. Mit einem Blick bemerkte er auch, daß die Tür des Wandschrankes verschlossen war. Sie wußte Bescheid. Einen einfachen Rock und Bluse hatte sie an. War das mit im Bündel gewesen?

Da sie immer noch weiter schrubbte, als hätte sie ihr Lebtag nichts weiter getan, stieß er sie sachte mit dem Fuße an.

Sie erschrak ein wenig. Die derben bloßen Arme auf den Boden gestemmt, hielt sie inne, drehte den Kopf und richtete sich dann auf.

Ganz verlegen wurde sie und wollte sich aus ihrer knienden Stellung erheben. Er klopfte ihr beruhigend auf den Rücken und machte eine Bewegung mit der Hand, sie solle sich nur nicht stören lassen. Sie sah ihm mit einem langen Blick, der an seiner Gestalt in die Höhe ging, in die Augen. Sie wollte lächeln und verzog nur die Mundwinkel. Dann tauchte sie zögernd die Bürste in das Waschfaß und scheuerte weiter.

Er ging hinaus. Sinnend strich er seinen Bart und sah dem Obsthändler zu, der auf seinem Wagen stand und einem Trupp Marktfrauen die Tragkörbe von Äpfel sackte.

Sie wußte sich ja zu helfen. Die Scheuerbürste, das Waschfaß hatten auf dem Hof neben der Wasserleitung gelegen. Sie würde schon finden, was sie brauchte. Ihm war zumute, als könne er stundenlang auf einen Fleck stieren, und als müßte er dann wieder lachen und singen.

Diese Nacht schlief er wieder im Stall und betrat auch am Morgen nicht die Stube. Wie eine Scheu war es in ihm. Was hätte er ihr denn sagen sollen?

Ehe er am Abend wieder heimfuhr, brachte er im Kasten des Kutschersitzes eine Kaffeemühle, eine Tüte Kaffee, Wurst und Fleisch unter. Ärgerlich wippte er mit der Peitsche. Heute mußte Gewißheit werden.

Die eingekauften Sachen im Arm, betrat er die Stube. Sie stand schnell vom Bett auf und drückte sich in eine Ecke. Er tat sehr geschäftig, legte alles auf den Tisch und rumorte im Wandschrank herum, brummend, daß er den Spirituskocher versiebt hätte, den er endlich in einem Lappen eingewickelt fand. Es war noch kein Wort zwischen ihnen gefallen. Nun drehte er sich um, räusperte sich laut und sagte, ob sie ihm denn morgen früh eine Tasse Kaffee kochen wolle. Als sie nicht antwortete und nur hilflos auf seine Lippen sah, machte er eifrig die Gebärden des Kaffeemahlens.

Sie nickte, als sei das selbstverständlich. Dann zeigte sie nach einem Ohr und sprach stockend und stotternd, daß sie kein Gehör habe, schon als ganz kleines Kind nicht. Da sahen sie sich mit einem langen Blick in die Augen, und es war ganz still in dem kleinen niedrigen Raum.

Am nächsten Morgen stand er zeitiger auf als sonst. Hastig richtete er Pferd und Wagen her und fuhr davon. Planlos fuhr er in den Straßen umher und frug sich immer wieder, ob sie wohl schon munter gewesen war und ob sie Kaffee gekocht hatte.

Trotzig kam er abends wieder. Sich von einem hergelaufenen Weibsen verdrängen – verdrängen lassen – aus der eigenen Behausung –? Oho!!

Er setzte sich auf einen Schemel an den wackligen Tisch und begann zu essen. Verstohlen sah er nach ihr hin. Sie saß auf dem Bettrand und hatte auf dem Schoß einige Schürzen liegen, deren Bänder sie durch die Finger zog und glättete. Nun gewahrte er unter dem Bett auch einen kleinen Reisekorb, dessen Deckel mit schwarzem Wachstuch überzogen war. Er vermied jedes Erstaunen und winkte sie heran. Rückte den andern Schemel zurecht und wies auf Wurst und Brot.

Sie setzte sich auch neben ihn, vorsichtig und geräuschlos essend. Zuweilen blickten sie auf, nickten sich zu, als hätten sie sich nichts zu sagen, als hätten sie immer so zusammengesessen. Sie hatte auch so etwas in den Augen, das ihn wie etwas längst Vertrautes ansah: ich weiß schon, was du sagen willst; sei du nur unbesorgt.

Nach dem Essen holte er seine Zeitung hervor und las. Dabei fühlte er, wie sie ihn unausgesetzt betrachtete. Er wandte den Kopf und zeigte auf eine Stelle in der Zeitung. Sie rückte näher heran, um es auch zu lesen.

Unwillkürlich legte er nach einer Weile seinen Arm um ihre Schultern, und so lasen sie alle beide.

Drückend wurde das Schweigen. Keiner wagte sich zu rühren, wie sie so saßen und längst das Zeitungsblatt nach allen Richtungen hin überflogen hatten. Endlich wollte sie sich aufrichten. Da faßte er sie mit der andern Hand am Kinn, zog ihren Kopf heran und küßte sie.

Er fühlte, wie ihre Lippen die Liebkosung erwiderten. Von nun an war das Feldbett nicht mehr zu schmal.

Den folgenden Tag passierte etwas noch nie Dagewesenes.

Der feine Bernhard war früh nicht an seinen Standort gekommen. Er kam am Mittag und auch am Abend nicht.

Dafür war er in der Stadt gesehen worden, wie er in den feinen Vierteln an großen Gebäuden und Sehenswürdigkeiten herumkutschiert war – wie er, ein leidlich hübsches Frauenzimmer im Wagen, mit der Peitsche auf dies und jenes gezeigt hätte. Ja – und seine beiden Braunen wären vor dem Wagen gewesen – hätten sogar Blumen an den Ohren stecken gehabt wie ihr Herr an seinem blitzenden Lackhut. Und alles hätte so blank und so munter gelacht, daß selbst der Neid in der Gasse zerplatzt wäre, hätte er das mit angesehen. Ja, hier konnte einer wieder mal deutlich sehen, daß stille Wasser tief sind. Denn wer hätte das dem feinen Bernhard so ohne weiteres zugetraut. Freilich, auf Überraschungen war man ja bei dem gefaßt. Aber, daß er solche Dinger baute und eine Hochzeitsreise durch die Stadt machte, ohne auch nur ein Sterbenswörtchen verlauten zu lassen, das war doch ein starkes Stück. Nun hatte man ihm ja nicht einmal gratulieren können!

Und als er am nächsten Morgen in der Kneipe hinter der Tür lehnte, seinen Schnitt Bier und seinen Korn trank, den Eintretenden guten Tag zunickte oder sich zu einer skatenden Gruppe stellte, da kannte das Staunen keine Grenzen. Ha – er war eben der feine Bernhard! …

So verging etwa ein Jahr. Nichts änderte sich in seinem Äußeren. Er war wortkarg wie immer und bestimmt in seinem Tun.

Aber eines Tages war er wieder die Ursache allerlei Vermutungen und kopfschüttelnden Staunen.

Er war wieder einen ganzen Tag nicht gekommen, auch nicht gesehen worden.

In seiner Kutscherstube saß er auf dem Bettrand, hatte den Kopf in die Hände gestützt und die Finger in die Haare gekrallt.

Sie war fort.

Mit weitgeöffneten Augen stierte er zu Boden. War denn das möglich? Was war es denn, was sie fortgetrieben hatte? Hatte er je gefragt, ob sie bleiben wollte? Nie! Er hatte es gestern abend gleich geahnt, als er sie bei seinem Eintreten nicht in der Stube vorfand. Der Reisekorb und aller übrige Kram fehlte ja auch. Wenn eine unter Tausenden zu ihm gepaßt hatte, so war sie’s gewesen. Sie war in ihn hineingewachsen. Er wollte es abschütteln! Zum Teufel – wenn sie gehen wollte – nun gut –!

Finstere Falten auf der Stirn, richtete er sich auf. Da fiel sein Blick auf den geöffneten Wandschrank. Sie hatte die beiden Fächer fein mit Papier ausgelegt und eine weiße Zackenborte an die Ränder der Bretter gehäkelt. Er stand auf, nahm das Papier heraus und riß die mit Zwecken befestigte Borte langsam ab, ging in den Stall und an seine Arbeit.

Es kam jetzt öfter vor, daß der feine Bernhard ein Glas über den Durst trank und mit einem Fahrgast wegen der Bezahlung in Streit geriet, oder beim Skat zu krakeelen anfing und mit dem Finger drohte: sie sollten ihn nur erst einmal kennen lernen, er wäre kein Guter. Hatte er früher für die harmlosen Späße der Straßenjugend nur einen Peitschenknall übrig gehabt, so konnte er jetzt in Wut geraten, wenn sie ihm zuriefen, daß sich die Räder so schnell drehten, oder – ob er frei wäre –. Mit gewaltigem Satz sprang er vom Bock und schlug ihnen die Peitsche um die Ohren, daß sie ausrissen wie Schafleder …

Eines Abends stand der dicke Wirt der Kutscherkneipe vor seiner Tür. Da rief er auf einmal ins Lokal hinein:

»Jetzt kommt aber ne Porzellanfuhre.«

Die Gäste drängten sich an der Türe, um zu sehen, was es gäbe.

Der feine Bernhard kam angefahren. Aus seinem Wagen drang ein wüster Spektakel, Lärm und Johlen. Angetrunkene Stimmen sangen: »Nach der Heimat möcht ich wieder«. Aus den Wagenfenstern hingen verschiedene Beine heraus. Bernhard riß den vollgepfropften Wagen auf und warf seine Kumpane dem Wirt in die Arme. Mit dem abgebrochenen Peitschenstiel schlug er drinnen auf den Tisch, daß die Gläser zu tanzen anfingen und umfielen, schlug zu einem lustigen Lied krachend auf einen Stuhlsitz, hüpfte herum und schrie juhu.

Der Tumult wollte kein Ende nehmen. Er hatte gewettet, die Ecke eines Biertisches mit der Faust abzuschlagen. Krachend fielen die Schläge der geballten Hand. Die Ecke wollte nicht weichen. Er warf seinen Mantel fort und schlug weiter, vor Wut schäumend. Von seiner Faust tropfte das Blut auf den Tisch. Bis sich der Wirt ins Mittel legte.

Er müsse die Ecke erst abhauen, brüllte er. Fluchend und schimpfend wurde er hinausgeführt. Alles, was in seine Droschke hinein wollte und hinein ging, kam mit. So ging es von Kneipe zu Kneipe. Der feine Bernhard zahlte alles. Immer gefolgt von einem Schwarm wechselnder Anhänger. Drei Tage und drei Nächte währte das Treiben.

Allein und verlassen langte er auf seinem Hofe an. Mühsam kletterte er vom Bock, taumelte und stolperte in seine Bude und warf sich, so wie er war, auf das Bett.

Die Bauern aus dem angrenzenden Gasthause fanden früh, als sie zum Markte gingen, den kopfhängenden Braunen noch auf dem Hofe stehen. Sie führten ihn in den Stall und fütterten ihn mit Brotrinden und Abfällen ihrer Grünwaren.

Der feine Bernhard ist jetzt Dienstmann.

Mit Mütze und blauer Bluse sitzt er auf dem niedrigen Sockel des Bahnhofgitters. Eine Droschkenhaltestelle ist dort. Wie riesige Ungetüme in ihren dicken verwitterten Pelzen, stehen Droschkenkutscher und Dienstmänner mit gebeugten Rücken und grauen zerzausten Vollbärten um ihn herum und in der Nähe.

Sie sprechen von den Autos und den Messengerboys.

Manchmal schlägt ihm einer auf die Schulter und sagt wie zur Bekräftigung:

»Nich wahr, Bernhard, so isses –?«

Da öffnet er die stets halbgeschlossenen Augenlider wie weltvergessen, hängt die kurze Pfeife aus der Zahnlücke und über sein gelbes knochiges Gesicht zuckt es wie vorüberhuschendes Lachen: »Ich bin der feine Bernhard – wehe wenn du’s nich gloobst! Ich bin der feinste Mann von Eiropa. Habt ihr ne Ahnung – –.«