MARIÄ EMPFÄNGNIS

Alfred Döblin

Maria ging bleich und stilläugig durch die feuchten niedrigen Gräser.

Hing das Laub hoch und dicht, so schaute Maria nach einem breitästigen Baume aus, der allein hinter einem maschigverwachsenen Gebüsch stand, in einem Walde stand, den die Männer mieden. Das Grün der Blätter verschmolz mit den seidenen Dämmerfarben der Luft; dann blühten bronzedunkle, rosenzarte, gelbgetönte oder auch schneeige Mädchenleiber unter ihm, die sich liebten. Das Laub hing dicht und fiel tief hernieder.

Wenn wilder Regen strömte, saß Maria unter den Gespielinnen am Fenster ihrer Halle, mit ihrem weißen, ins Bläuliche schattenden Gewande, einen Mandelzweig im Haar; sangen aller Lippen zum Regengotte ein Beschwörungslied. Aber sie schrie auf vor Glück, wenn sie ein Kindchen sah. Mit langsamen Schritten ging sie auf das Kindchen zu, hob es auf und hielt es, sich setzend, leicht mit den Knieen wiegend, im Schoß. Manchmal hielt sie im Wiegen inne, blickte lange auf die weißen Sonnenstäubchen und den schwerblauen Himmel, schauerte plötzlich zusammen mit den fröstelnden Schultern und wiegte weiter.

Ein treuer Freund warb um sie; aber die jungfräuliche konnte den leise Flehenden nicht erhören.

Als die Mädchen einmal in sanftem Glück unter jenem breitästigen Baum ihre Jugend mit Küssen und Umarmen genossen, sahen sie durch eine Blätterlücke am Himmel eine schwarze, unermeßlich breit und riesig greifende Wolkenhand, unentrinnbar Willens gleichsam wie eine Gotteshand. Sie sangen unruhig auf, sänftigten sich, flohen schließlich durch das Laub geduckt auseinander, die weißen und buntgewandigen, als ein graublaues Licht ganz hinten am Hügel äugte und immer heller und heller und häufiger von der Himmelsschwärze herblickte. Zwischen schwarzen und steifen Baumreihen, die sich zu krümmen und winden begannen, flatterten die Gewande vor dem Wind. Dem Freunde, der Maria entgegengelaufen war, nachdem er lange wartend um ihr einsames Haus gestreift hatte, klammerte sich die Ängstliche, Zerzauste an und ließ seinen Arm nicht. Immer klagten und zitterten ihre blassen, verwirrten Blicke zu den weitgespannten Wolkenfingern und dem grellen Licht hin. Sie fiel ihm, als die Erde zu beben begann und eine Donnerstimme mit lohendem Purpur und Schwefelgelb aufbrüllte, totbleichen Gesichts in die Arme. In dem dichten Dunkel fuhren Hände ihr über Gesicht und Haare, sie hörte nach dem herrisch befehlenden Donnerschlage heiße Flüsterworte. Er nahm sie hin, die wie ein leichter Ast an seiner Schulter hing, mit ganz entspannten Gliedern und Zittern.

Die Gespielinnen fanden sie am Morgen nach dem Gewitter starr mit offenen Lippen auf dem Lager. Ihre schimmernden Augen suchten, als die Füße der Mädchen auf der Diele klangen, irr etwas in ihrem Zimmer und auf den Gesichtern der Freundinnen; sie wollte sprechen, aber mit einem rauhen Laut stopfte sie sich ihr Tuch in den Mund und biß hart darauf. Oder sie schrie auf und stöhnte langgezogen, regelmäßig und warf sich hin und her. Niemand wußte, was in der Nacht geschehen war, aber man riet bald, daß der Schrecken des Gewitters ihre Seele verstört hatte.

Und sie pflegten sie, bis sie still wurde, und auch den Freund, der immer wieder eindringen wollte, ließen sie nicht zu der Kranken. Als sich die Zerwühlte langsam gesammelt hatte und ruhig lag, sagte sie endlich heimlich, indem sie den Kopf noch tiefer in das Kissen drückte, wie um sich zu besinnen, mit einem unsicher fragenden Ton in der Stimme: es sei etwas über ihrem Haus bei Nacht gewesen. Und sann dann wieder angestrengt in den Kissen nach, sah auffahrend auf die Gefährtinnen und die stummen Gegenstände im Zimmer.

Nach einiger Zeit ging sie nun wie eh mit den Freundinnen durch die feuchten niedrigen Gräser. Aber wenn schon sonst ein weicher Ernst über ihr lag, so verlangsamten sich jetzt ihre Bewegungen immer mehr, fast feierlich. Ihr Gesicht klärte sich morgenlich, täuschungslos auf. Als sie dem Freier zuerst begegnete und die Freundinnen auf ihren erstaunten Blick ihr sagten, wer er sei, sah sie ihm noch lange in das flehende Gesicht und wandte sich dann ruhig von ihm ab, anscheinend im Grün der hängenden Blätter und am glatten Himmel etwas suchend.

Öfter blieb Maria jetzt vor ihrer Halle sitzen in der blauen Luft. Ihre Augen wurden gütiger, versonnener, und wenn der treue Freund neben ihr stand, so streichelte sie seine Hand, die neben ihrem Kopf herabhing, und ihre Lippen nannten ihn wie früher leise: Freund.

Sie gedieh und wandelte sich allmählich in eine reife Blüte. Als sie mit dem schwachen Kindchen auf den wiegenden Knieen wieder vor der Halle saß, sah Josef sprachlos auf sie, deren Augen von innen erleuchtet schienen.

Maria hob ihr zartes Gesicht lächelnd zum tiefblauen Himmel auf, von dem die düstere Gotteshand nach der jungfräulichen herabgegriffen hatte, öffnete leicht die Lippen gegen das Licht zum Kuß, blieb lange so.

Und so senkte sie dann den friedensstillen Kopf und die Brust halb über das unschuldige Kindchen, das von ihren duftenden Händen gehalten auf ihrem Schoße lag, auf ihrem weiten, weißen Gewande, dessen Falten mattblau schatteten:

»Ich liebe dich, ich liebe dich, du Gottespfand.«